Warum bloß beginnt das Jahr mit dem Januar?
Diese Frage hat mir in diesen ersten Tagen des Jahres keine Ruhe gelassen.
Denn wie schon die Jahre davor, fehlt mir irgendwie der rechte Elan für den Start ins neue Jahr. Stattdessen fühle ich mich von den Ansprüchen überfordert, die an den Jahreswechsel gestellt werden. Egal ob im Business oder privat, überall entsteht der Eindruck, dass es jetzt wieder los- und vorwährtsgehen müsste. Dass Pläne geschmiedet, Projekte angestoßen und mit vollem Elan das Leben angepackt werden sollte.
Und das ausgerechnet in der Zeit im Jahr, in der ich mich eher danach fühle, den Rückzug anzutreten, Winterschlaf zu halten und erst mal den Trubel der Dezemberwochen zu verarbeiten. Aufbruchstimmung und Tatendrang? Fehlanzeige.
In letzter Zeit habe ich in Gesprächen mit Freunden und Kolleginnen bemerkt, dass ich damit nicht alleine bin. Viele Menschen verspüren den Druck, auf Knopfdruck in die volle Leistung gehen zu müssen, obwohl sie sich überhaupt nicht danach fühlen.
Das hat mich zum Nachdenken gebracht: Warum starten wir das Jahr mit dem Januar – einem Wintermonat? Wer um alles in der Welt ist bitte auf diese Idee gekommen? Weder mit Blick auf die Jahreszeiten noch aus religiöser oder kultureller Sicht ergibt dieses Datum einen erkennbaren Sinn.
Darum habe ich fleißig recherchiert und bin der Frage auf den Grund gegangen, woher der Termin vom 1. Januar als Neujahrstag eigentlich stammt. Was ich herausgefunden habe, hat mir eine ganz neue Perspektive auf dieses Kalenderereignis geschenkt – und mich zum Nachdenken angeregt, ob es vielleicht an der Zeit ist, dem Jahreswechsel in Zukunft anders zu begegnen.
Übersicht
Ein Leben im Rhythmus der Jahreszeiten
Eigentlich mag ich wirklich alle Monate. Jede Jahreszeit bringt ihre ganz eigene Stimmung mit sich und ich liebe den Charme von jeder einzelnen. Darum kann ich einem lauen Abend im August genauso viel abgewinnen wie einer mystisch-nebligen Dämmerung im November.
Nur der Januar und ich, wir sind bisher einfach keine richtigen Freunde geworden. Und um ehrlich zu sein, habe ich nie ganz verstanden, woran das liegt.
Grundsätzlich versuche ich im Fluss mit dem zu leben, was gerade an Energie da ist. Was ich damit meine? Der Jahresverlauf bringt eine zyklische Abfolge von Stimmungen und Energien mit sich, die sich nicht nur in der Natur zeigen, sondern sich auch auf uns Menschen auswirken.
Zwar leben wir heutzutage nicht mehr ganz so stark im Rhythmus der Jahreszeiten, wie es die Menschen früher getan haben. Aber spurlos gehen sie trotzdem nicht an uns vorbei. Wir Menschen passen uns ganz intuitiv an den Wandel der Zeiten an und gestalten unser Leben danach.
Die verschiedenen Phasen im Jahresverlauf
Im Sommer bin ich zum Beispiel viel geselliger und unternehmungslustiger als im Winter. In den dunkleren Monaten konzentriere ich mich hingegen tendenziell mehr auf persönliches Wachstum, meine Arbeit und reflektiere viel über mein Leben. Natürlich treffe ich auch im Winter Freundinnen und nehme mir im Sommer Zeit für die Arbeit oder Selbstreflexion. Aber mein Fokus verschiebt sich merklich auf einen der jeweiligen Lebensbereiche.
Somit hat jede Phase im Jahr ihre Zeit, ihre Berechtigung und ihre ganz eigene Funktion. Dadurch bleibt alles in Balance. Denn ohne Ruhe keine Aktivität, ohne Abschied kein Neubeginn und ohne Rückzug keine Geselligkeit.
Darum mag ich alle Monate und Jahreszeiten, weil sie durch ihre Verschiedenheit eine eigene Qualität und Facette in mein Leben bringen.
Warum also beschleicht mich Jahr für Jahr im Januar das Gefühl, dass irgendetwas nicht im Lot ist?
Durchstarten im Januar – oder doch lieber Winterschlaf?
Es kann nichts damit zu tun haben, dass ich den Winter nicht “mag”. Denn wie gesagt kann ich jeder Zeit etwas abgewinnen. Außerdem bin ich selbst von Natur aus sehr introvertiert und verliere mich oft in meiner Innenwelt. Der Winter als Zeit des Rückzugs, der Reflexion und Innenschau entspricht somit grundsätzlich meinem Wesen.
Erst dieses Jahr ist mir klar geworden, dass das Problem nicht am Januar selbst oder an mir liegt – sondern an unseren kulturellen Erwartungen. Denn während in allen anderen Monaten die generelle Stimmung mit der Jahreszeit zusammenpasst, gerät im Januar etwas aus dem Lot.
Winterzeit ist Schlafenszeit
Wenn ich aus dem Fenster schaue, herrscht draußen tiefster Winter. Die Natur ruht, die Bäume recken ihre kahlen Zweige in den grauen Himmel und außer ein paar dunklen Krähen auf den Dächern regt sich kaum ein Lebewesen. Auch in mir ruft alles nach Winterschlaf. Nach Rückzug in meine Höhle mit Büchern, heißer Schokolade und Kuscheldecke.
Doch was signalisiert die Welt rundherum? Dass jetzt eine Zeit der Aktivität und des Durchstartens ist.
Überall in der Stadt wollen einen Neujahrsangebote ins Fitnessstudio locken, Menschen tauschen ihre Vorsätze und Ziele aus und nehmen sich vor, dass dieses Jahr endlich anders, besser, erfolgreicher, schlanker, fitter und gesünder wird.
Da passt irgendetwas überhaupt nicht zusammen. Mitten in den tiefsten, verschlafensten Winterzustand hinein sollst du voller Elan deine Zukunfts- und Jahresplanung machen – und dann auch noch am besten gleich umsetzen?
Das ist ungefähr so, wie wenn ich dich um 3 Uhr morgens wecken und eine detaillierte Tagesplanung von dir fordern würde. Während du dir noch verschlafen die Augen reibst und dich erst einmal orientieren musst, frage ich dich, was du an diesem Tag alles erreichen willst. Und erwarte dann, dass du voll motiviert aus dem Bett hüpfst und sofort damit loslegst.
Klingt anstrengend und wenig erfolgsversprechend? Bingo.
Genau aus diesem Grund ergibt es wenig Sinn, dass du dich im Januar daran machst, in das neue Jahr zu starten. Dein Körper und Geist sind auf Winter eingestellt und viel zu verträumt, um richtig aktiv zu werden.
Mit dem Frühling erwacht das neue Jahr
Der Blick in die Natur bestätigt diesen Gedanken. So würde zum Beispiel kein Bauer auf die Idee kommen, mit der Aussaat im Januar zu beginnen.
Unsere heute Kultur ist in den meisten Bereichen weit weg von der Natur. Durch das moderne Leben mit elektrischem Licht, Weckern, Schreibtischjobs und urbanen Lebensräumen haben die Menschen dafür gesorgt, dass sie unabhängig von natürlichen Kreisläufen wie Tag und Nacht oder den Jahreszeiten wurden.
Doch bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert lebte der Großteil der Bevölkerung noch von der Landwirtschaft. Weil die Natur in der kalten Jahreszeit schläft, kam mit dem Winter auch für die Menschen eine natürliche Pause in den Lebensrhythmus. Die dauerte so lange, bis die Natur im Frühling wieder erwachte.
Den Jahresbeginn in die Mitte dieser Pause zu legen, ist ziemlich unlogisch. Im Januar ist der Jahreszyklus noch nicht vollendet und der Winter im vollen Gange. Die Natur erholt sich, alles ruht und schläft. Der Frühling, mit dem neues Leben und ein weiterer Zyklus beginnt, ist noch gute zwei Monate entfernt.
Wäre es nicht viel sinnvoller den Jahresanfang im März zu feiern, wenn der Winter vorbei und der letzte natürliche Zyklus abgeschlossen ist?
In den Zeiten vor einer einheitlichen Kalenderregelung war das in vielen Kulturen tatsächlich der Fall. Im deutschen Mittelalter begannen etwa die Langobarden und auch die Merowinger ihr Jahr im März. Und auch die Römer und Byzantiner hielten sich lange an den Frühling, um das neue Jahr zu begrüßen. In der Venezianischen Republik war der Märztermin sogar bis 1797 gebräuchlich.
Warum der 1. Januar Neujahrstag ist
Damit wäre geklärt, warum es unlogisch ist, das Jahr im Januar zu beginnen. Aber warum halten wir uns dann trotzdem an dieses Datum?
Nun, die Antwort liegt wie sooft in der Geschichte. Genau genommen sogar einige tausend Jahre in der Vergangenheit bei den Römern.
Der Römische Kalender
Die hatten nämlich eine ziemlich Schwäche für Kalenderreformen. Die römischen Kaiser haben in beständiger Regelmäßigkeit die Länge des Jahres, die Verteilungen der Monate und deren Namen geändert.
Die Berechnung des Kalenders ist eine ziemlich tricky Angelegenheit und hat im Laufe der Jahrtausende viele Systeme hervorgerbacht. Dazu aber lieber an anderer Stelle mehr.
Auch bei den Römern waren im Laufe der Zeit verschiedene Kalenderformen gebräuchlich. Doch weil sie sich nicht wie wir heute am Sonnenjahr, sondern am Mondzyklus orientierten, ging die Rechnung nicht immer ganz auf. Ein Mondjahr dauert nämlich 354,3671 Tage – also ganze elf Tage kürzer als ein Sonnenjahr. Um dem entgegen zu wirken, setzten die Römer alle zwei Jahre einen Schaltmonat ein: Den Februar.
Dieser Schaltmonat lag am Ende des Jahres, kurz vor Frühlingsbeginn. Denn das Römische Jahr begann traditionell am 1. März.
Das kannst du bis heute an den Namen einiger Monate erkennen: September, Oktober, November und Dezember sind nach Zahlen benannt. Weil das Römische Jahr im März begann, lagen sie an siebter, achter, neunter und zehnter Stelle im Jahr. Der Januar ist übrigens nach dem Gott Janus benannt, der zwei Gesichter hat und symbolisch für Anfang und Ende und somit alle Übergänge steht.
Eine politische Entscheidung
Im Jahr 153 v. d. Z. entschieden die Römer sich dafür, das politische Amtsjahr mit dem Januar beginnen zu lassen. Das heißt, dass am 1. Januar ein neuer Konsul seine Regierungsperiode begann. Die Jahre wurden nach ihren Amtsträgern bezeichnet und nicht mit einer aufsteigenden Zählung, wie wir das heute tun. Daran kannst du sehen, welch große Bedeutung dieser Posten in der römischen Kultur hatte.
Das kalendarische Jahr begann allerdings weiterhin am 1. März – bis Julius Cäsar 45 v. d. Z. den Julianischen Kalender einführte. Darin schaltete Cäsar das politische mit dem kalendarischen Jahr gleich und setzte den Jahresanfang auf den 1. Januar.1
Das klingt vielleicht banal. Doch im Grunde hat Cäsar entschieden, die Zeitmessung nicht mehr an der Natur, sondern der Politik auszurichten.
Auch wenn es noch länger regionale Unterschiede und Ausnahmen gab, hat sich langfristig diese Sichtweise in der westlichen Welt durchgesetzt. So legte schließlich Papst Innozenz XII. im Jahr 1691 den 1. Januar als allgemein gültigen Neujahrstermin fest.
Damit steht der Neujahrstermin letztlich für ein kulturelles Phänomen, das bezeichnend für den modernen Lebensstil des Menschen ist:
Nicht die Natur, sondern ein politisches, patriarchalisches Amt gibt den Takt im Lebensrhythmus vor.
Kalender und Uhren: Orientierungshilfe oder Taktgeber?
Was kannst du aus dieser Erkenntnis für dich mitnehmen?
Ich möchte dich gerne daran erinnern, dass du dein Leben nicht an einem gedruckten Kalender oder einer mechanischen Uhr ausrichten musst.
Du bist ein lebendiges Wesen, das auf seine Umwelteinflüsse reagiert. Ebenso wie du einen Tages- und Nachtrhythmus hast, beeinflussen dich auch die verschiedenen Jahreszeiten. Der weibliche Zyklus ist das schönste Beispiel dafür, wie verschieden die Phasen des Lebens sein können. Jede bringt ihre eigene Energie mit, jede hat ihre Zeit und ihre Berechtigung.
Kalender, Uhren und Planer sind hilfreiche Tools, die die kulturelle Entwicklung der Menschen im Laufe der Zeit hervorgebracht hat. Doch meistens wir nutzen sie nicht zur Orientierung, sondern unterwerfen uns ihren Vorgaben und richten unser Leben danach aus. Und weil es alle so machen, weil unsere ganze Welt so aufgebaut ist und wir es nicht anders kennen, verlieren wir keinen Gedanken daran, ob die Taktung, die uns da vorgegeben wird, überhaupt Sinn ergibt.
Dazu gehört auch, ein neues Jahr mitten im Winter beginnen zu lassen – nur weil das ein politik- und machtbesessener römischer Konsul vor 2000 Jahren so entschieden hat.
Wenn du also auch jeden Januar wieder das Gefühl hast, dass das Jahr nicht so richtig in Schwung kommt und du noch nicht ganz bereit bist, durchzustarten, denke dran: Der nächst Frühling kommt bestimmt. Und bis dahin darfst du ruhig noch ein bisschen Winterschlaf halten.
- In vielen Wikipedia-Einträgen wirst du die Information finden, dass schon mit der Umstellung 153 v. d. Z. das Kalenderjahr umgestellt wurde, was aber nicht korrekt ist; nachlesen kannst du das u.a. bei dem römischen Autor Censorinus: De die natali, 21.7 [↩]
1 Kommentar
Ist es wirklich unlogisch, dass das Jahr (zumindest auf der Nordhalbkugel) im Januar beginnt? Besteht die Unlogik nicht eher darin, dass viele Menschen mit Pauken und Trompeten ins neue Jahr starten? Wenn ich ein Saatkorn in die Erde lege, dann explodiert dieses doch auch nicht gleich zur neuen Pflanze. Sondern ganz langsam entwickelt sich ein zarter Keimling der dann zu einer kräftigen Pflanze heranwächst. Für mich sind der November und Dezember die Zeit des Rückzugs. Und im Januar und Februar wird die Saat durch Reflexion und Planung ausgebracht, die sich dann im Frühjahr voll entfalten kann – wobei besonders der Januar für mich das Saatkorn in der dunklen Erde darstellt.