Bayern vs. Preußen. Die Geschichte hinter dem bayerischen Preißn-Bashing

von katrin
Münchner Bavaria

Kennst du den schon?

Ein Bayer unterhält sich mit seinem norddeutschen Nachbarn am Gartenzaun. “Gestern war I in da Oper.” – “Ach, das klingt ja ganz wunderbar. Was wurde denn gegeben?”

“Sowas griechisch’s, Orpheis.” – “Bitte was?” – “Na, Orpheis hoid. Diesa griechische Sänger, der in da Unterwäid gsunga hod, wei sei Frau tot war und dann hodas wieda verlorn, Depp bleda.”

“Ach! Sie meinen Orpheeeeeus. Die Intonation ist Orph-e-u-s. Nicht Orpheis. Orpheeeeeus.”

Der Bayer schaut kurz verwirrt, dann sagt er: “Na, des glab I ned. Des hoast ja ah ned Sche-uß Pre-uß, sondern Scheiß Preiß.”

Eigentlich kann ich mir keine Witze merken, aber dieser hier ist hängen geblieben.

Ich muss ungefähr 8 Jahre alt gewesen sein, als ich ihn gehört habe. Ich sehe meinen Onkel bis heute deutlich vor mir, der, während er ihn zum Besten gibt, gemütlich an seiner Pfeife zieht. Wie er den Dialog genüsslich ausbaut, in seinem Ingolstädter Dialekt ein paar sprachliche Schleifen zieht und schließlich nach der Pointe in belustigtes Glucksen ausbricht.

Vielleicht hat sich die Erinnerung so in mein Gedächtnis eingebrannt, weil dieser Witz für mehr steht als der durchschnittliche Scherz, der auf billigen Stereotypen aufbaut. Vielmehr ist er Ausdruck eines kulturellen Selbstverständnisses.

Das Selbstverständni von Mia san Mia – und vor allem keine Preißn.

Dass in Bayern „die Preißn“ mit gerade zu überheblicher Verachtung gestraft werden, ist wahrlich kein großes Geheimnis. Doch warum ist das eigentlich so?

Ich wollte es ganz genau wissen und habe mich auf die kulturhistorische Suche gemacht. Die Hintergründe waren für mich nicht nur überraschend politisch und erstaunlich tief in der deutsch-nationalen Geschichte verwurzelt. Sie haben mir vor allem einmal mehr gezeigt, wie längst vergangene (und teilweise vergessene) Geschichte unsere heutige Lebenswelt noch immer prägt.

Wir und die anderen. Wenn Ablehnung identitätsstiften wird

Vielleicht ist Humor die häufigste Form, in der sich die bayerische Abneigung gegenüber unseren preußischen Nachbarn zeigt. Ob Sparwitze, das legendäre Rumgegrantel des Kabarettisten Harry G. oder Internet-Memes, bayerischer Humor geht häufig auf Kosten von Nicht-Bayern.

Internet Meme über Preißn mit dem Text: "Ich bin ein Zugereister." - "An Scheiß bist! Oanmal Preiß, imma Preiß..."
(Quelle: Pinterest, Du Hirsch)

Das restliche Deutschland kann da wahrscheinlich nicht so drüber lachen. Bei uns Bayern ist Preißn-Bashing aber etwas, das quasi zum guten Ton dazu gehört. Das macht nicht einmal vor den eigenen Landsleuten halt – wie zum Beispiel vor Großstadtkindern, wie ich eines bin.

Ich bin in München aufgewachsen und genau wie die meisten meiner Altersgenossinnen, sprechen meine Schwester und ich kein Bayerisch. Großstadtphänomen.

Doch von meinen Bayerisch sprechenden Eltern und Verwandten wurden wir schon als Kinder immer wieder für unser “Hochdeutsch” gerügt. Sogar mein Opa, sonst ein sehr ernsthafter Mann, hat immer wieder mit einem schelmischen Grinsen in seinem gepflegten Oberbayerisch gefragt: “Warum san meine Enkelinnen eigentlich solcherne Preißnkinder?”

Mich hat das als Kind immer furchtbar geärgert, weil ich instinktiv wusste: Ein Preiß sein, das ist was, wofür du dich schämen solltest.

Dass das jeder political correctness entbehrt und auch nicht gerechtfertigt ist, darüber brauchen wir gar nicht erst reden. Aber ich habe mich irgendwann gefragt, woher diese tiefgehende Abneigung eigentlich kommt.

Von der Angst, die eigene Identität zu verlieren

In den Sozialwissenschaften gibt es den Begriff der Kulturellen Identität. Damit ist gemeint, dass jeder Mensch sich einem größeren sozialen Kollektiv zugehörig fühlt. Dabei ist es egal, ob das eine Nation, deine Familie oder ein Fußballclub ist.

Mit dem Gefühl zu einer bestimmten Gruppe dazuzugehören, kommt automatisch auch die Abgrenzung zu allen anderen, die nicht Teil davon sind. Das allein muss zunächst nicht zwingend etwas Schlechtes sein. Doch wenn diese Abgrenzung mit einer Abwertung des Fremden verbunden ist, wird sie problematisch. Denn dann führt sie zu Ablehnung oder sogar Hass.

Auslöser dafür ist oft ein Gefühl von Bedrohung. Wenn eine Gruppe zum Beispiel Angst hat, dass ihnen ihre eigenständige Identität genommen wird, schlägt das oft in Ablehnung um. Ob die Angst begründet ist, spielt dabei erst einmal keine Rolle.

Aktuell kannst du das gut an der anhaltenden Debatte um die AfD und deren Angst sehen, dass die “deutsche Leitkultur” von muslimischer Zuwanderung unterwandert wird. In diesem Fall sagen diese Ängste aber wohl mehr über das wackelige Vertrauen in das Selbst des durchschnittlichen AfDlers aus, als dass es eine tatsächliche Bedrohung widerspiegeln würde.

Das Misstrauen gegenüber Minderheiten ist historisch betrachtet ein beständig wiederkehrendes Phänomen und in der Regel unbegründet.

Die Angst vor Unterdrückung

Wesentlich realer ist diese Angst zum Beispiel dann, wenn eine Gesellschaft von einer anderen tatsächlich geschluckt wird. Beispiele dafür ließen sich hunderte finden, spontan fällt mir die Kolonialisierung Amerikas mit der Unterwerfung der indigenen Völker ein. Oder die Expansionspolitik Chinas, wenn ich an die Gegenwart denke.

Dabei geht auch immer um Fragen der Macht – beziehungsweise den Entzug derselben.

Die Machtlosigkeit, die die Menschen in ihrer Unterdrückung empfinden, führt häufig dazu, dass sie sich über ihre eigenen kulturelle Zugehörigkeit radikal von ihren Unterdrückern abgrenzen. „Wir sind anders, wir sind nicht wie ihr und das könnt ihr uns nicht nehmen.“

In dieser Haltung liegt letztendlich auch der Versuch, sich die Macht zurückzuholen. Durch die emotionale Herabwürdigung der Unterdrücker finden die Unterdrückten einen Weg, sich wieder überlegen zu fühlen. Je tiefer und länger ein derartiger Konflikt anhält, des stärker verankert er sich im Bewusstsein der Betroffenen. Bis die Ablehnung des anderen schließlich Teil der kulturell gelebten Identität wird.

Die Angst, von einem größeren Staat übernommen zu werden und eine fremde Kultur aufgedrückt zu bekommen, trieb vor gut 200 Jahren auch das Königreich Bayern um.

Völlig unbegründet war das nicht, denn eine solche Bedrohung ging gleich von drei Seiten aus: sowohl Österreich, Frankreich als auch Preußen versuchten immer wieder mit der Übernahme Bayerns ihren Einflussbereich zu erweitern. Wie du dir vielleicht schon denken kannst, war Preußen am Ende erfolgreich.

Doch wie kam es dazu? Um das wirklich verstehen zu können, müssen wir tief in den Kaninchenbau der deutschen Geschichte vordringen.

First things first: Wer sind eigentlich die Preußen? Oder die Bayern?

Es ist gar nicht so leicht zu sagen, woher die Preußen oder auch die Bayern genau kommen. Ursprünglich sind beide aus alten Volksstämmen entstanden, die es schon seit dem Mittelalter gab. Ich kürze hier aber ein gutes Stück ab und springe direkt ins 18. Jahrhundert – mitten hinein ins Heilige Römische Reich deutscher Nation.

Denn ein Deutschland im Sinne eines Nationalstaates wie wir das heute kennen, gab es damals noch nicht. Stattdessen existierte seit dem Mittelalter ein bunter Fleckenteppich von unzähligen Territorien, die von eigenständigen Landesherren regiert wurden. Das Reich muss man sich dabei wie einen überregionalen Dachverband vorstellen, an dessen Spitze der römisch-deutsche Kaiser stand. Dessen Aufgabe bestand vor allem darin, dafür zu sorgen, dass sich alle einigermaßen benahmen und in Frieden neben ihren Nachbarn herleben konnten.

Preußen und Bayern waren zwei dieser Staaten. Sowohl die preußischen Hohenzollern als auch die bayerischen Witteslbacher hatten die sogenannte Kurwürde inne, was sie zur Wahl des Kaisers berechtigte. Somit gehörten sie zu den höchsten Ständen im Reich, da es insgesamt nur 10 solcher Kurfürsten gab.

Der Aufstieg Preußens

Preußen hatte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine ziemlich steile Karriere hingelegt. Von einem zerstückelten Fürstentum aus deutschen und geerbten polnischen Gebieten hatte es sich zu einem aufstrebenden Militärstaat gemausert. Auf der Karte unten könnt ihr sehen, wie es sich über die Regierungszeiten der verschiedenen Kurfürsten immer weiter ausdehnte und schließlich eine beachtliche Größe erreicht hatte.

Karte aus dem 18. Jahrhundert der Gebiete von Preußen
Gebietsentwicklungen des Königreichs Preußen im 18. Jahrhundert
(Quelle: Von E. Berner – G. Droysens Historischer Handatlas. Von Nikephoros, Wikipedia, Gemeinfrei)

Es war zur zweiten Großmacht im Reich aufgestiegen und stand damit als Rivale um die Vormachtstellung Österreich gegenüber. Hohenzollern gegen Habsburger – diese Feindschaft wurde ganz offen ausgetragen und sorgte auch immer wieder für Kriege und Auseinandersetzungen.

Bayern als machtpolitischer Zankapfel

Und Bayern? Als Mittelstaat hatte es sich eine Zeit lang ebenfalls an der Großmachtpolitik versucht, allerdings einigermaßen erfolglos. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts orientierte sich Bayern außenpolitisch vor allem am habsburgerischen Österreich und war hauptsächlich daran interessiert seine Eigenständigkeit nicht zu verlieren.

Doch als 1777 die bayerische Linie des Hauses Wittelsbacher ausstarb, wurde Bayern immer mehr zum machtpolitischen Zankapfel der Großmächte. So versuchte Österreich wiederholt sich bayerische Gebiete unter den Nagel zu reißen, um seine territoriale Position auf den deutschen Reichsgebieten zu stärken. Preußen schoss den Habsburgern jedes Mal quer – aber nicht um Bayern aus Solidarität zu helfen, sondern um die eigene Machtposition nicht zu gefährden.

Wenn zwei sich streiten, dann freut sich…Napoleon

Als wären die beiden Streithanseln Preußen und Österreich noch nicht genug (das Ganze nennt man übrigens Dualismus), kommt ab den 1790er Jahren schließlich Napoleon auf den Plan.

Nach der Französischen Revolution wurden sämtliche europäischen Monarchien nervös, denn mit so absonderlichen Ideen wie Gleichheit, Freiheit und Nationalbewusstsein konnten Kaiser und Fürsten nicht viel anfangen. In den sogenannten Koalitionskriegen versuchten sie daher die französische Situation wieder unter Kontrolle zu bringen.

Das Ergebnis? Ab 1799 fegte ein napoleonischer Sturm von Eroberungen über Europa hinweg, verwirbelte das Heilige Römische Reich deutscher Nation in seine Einzelteile und ging erst 1813 auf einem Russlandfeldzug in die Knie. Danach war in Europa nichts mehr wie vorher. Da konnten sich die Mächte nach dem Sieg über Napoleon noch so sehr bemühen, die “alte Ordnung” wieder herzustellen. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation war zerfallen und die revolutionären Gedanken vom Nationalstaat hatten sich überall ausgebreitet.

Doch nicht jeder ging als Verlierer aus der napoleonischen Besatzungszeit hervor.

Wie zum Beispiel Bayern. Das kämpfte anfangs noch an der Seite Österreichs gegen Napoleon, doch 1805 wechselte es die Seiten. Eine lukrative Entscheidung: Der bayerische Kurfürst stieg unter Napoleon zum König Max I. Joseph auf und staubte mit Franken, Schwaben und der Pfalz noch einige Gebietsgewinne ab.

Bayern war nun also Königreich. Und was war mit Preußen? Dem hätte der Napoleonische Eroberungsfeldzug machtpolitisch und wirtschaftlich beinahe den Garaus gemacht, doch konnte es sich mit drastischen Reformen retten.

Wie ein Phönix aus der Asche stieg es nach dem Ende der französischen Besatzung zu neuer Größe auf. So sicherte es sich auf dem Wiener Kongress 1815 wichtige Gebietszuwächse und übernahm im neu gegründeten Deutschen Bund neben Österreich abermals eine Großmachtstellung ein.

Porträt des bayerischen Königs Max I. Joseph
König Max I. Joseph
(Quelle: Von Joseph Karl Stieler – sammlung.pinakothek.de, Gemeinfrei)

Die Preußisierung des deutschen Bundes

Während Bayern sich also noch über seine lokalen Errungenschaften freute, war Preußen schon wieder dick im Großmachtsgeschäft. Und tat in den folgenden Jahrzehnten alles dafür, um einen gesamtdeutschen Staat unter preußischer Führung zu errichten.

Die bayerische Idee der „Trias“

Bayern hingegen wollte hauptsächlich die eigene Souveränität nicht verlieren und daher am Status Quo des Deutschen Bundes nicht viel ändern. Um jedoch den beiden Großen etwas entgegen zu setzen, warb es für eine Trias. Demnach sollten Preußen, Österreich und Bayern gleichberechtigte Bündnisparter sein und sich die restlichen deutschen Mittelstaaten hinter Bayern vereinen.

So sahen zumindest weißblaue Träume aus.

Doch weder die Österreicher, noch die Preußen konnten sich für die bayerischen Vorstellungen erwärmen und auch unter den deutschen Mittelstaaten herrschte keine Einigkeit darüber, wie genau so eine Trias aussehen solle.

Otto von Bismarck und der Deutsche Krieg von 1866

So geisterte die Frage nach einer deutschen Lösung eine ganze Weile ungeklärt durch den Raum. Bis schließlich der Mann aufs Parkett trat, der die deutschen Geschicke in die Hände nehmen sollte: der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck. Auf dem Weg zur alleinigen Vorherrschaft Preußens war ihm vor allem Österreich ein Dorn im Auge, weshalb er 1866 schließlich den “Deutschen Krieg” gegen den Rivalen anzettelte.

Bayern kämpfte auf Seiten der Habsburger gegen Preußen, doch nach nicht einmal einem Monat waren Österreich und seine Verbündeten geschlagen. Das preußische Heer machte mit seinen Gegnern gnadenlos kurzen Prozess. Grund dafür war, dass es wesentlich modernere Waffen besaß, was Preußen einen unschlagbaren militärischen Vorteil verschaffte.

Abbildung einer Gefechtssituation zwischen Preußen und Bayern
Gefecht am Kapellenfriedhof von Bad Kissingen am 10. Juli 1866
(Quelle: Gerhard Wulz: Der Kapellenfriedhof in Bad Kissingen, Wikipedia, Gemeinfrei)

In der deutschen Wahrnehmung spielt dieser Krieg heute keine Rolle mehr. Das liegt vor allem daran, dass die beiden Weltkriege alles zuvor dagewesene überschatten. Das machte den “deutschen Bruderkrieg” aber nicht weniger grausam und vor allem in der ländlichen Bevölkerung Bayerns brannte sich dieses Ereignis tief in die Erinnerung ein.

Nach seiner Niederlage musste Österreich den Deutschen Bund verlassen und Preußen zwang Bayern mit einem Schutz- und Trutzbündnis an seine Seite – was so viel hieß, dass es im Kriegsfall der preußischen Heeresleitung unterstellt war.

Politisch war das bayerische Königreich von nun an also vom preußischen Staat abhängig und der Weg für eine endgültige Machtübernahme Preußens im Deutschen Bund geebnet.

Preußens Sieg in der „Deutschen Frage“

Die erfolgte dann auch wenige Jahre später. Die preußische Politik legte es bewusst auf eine Auseinandersetzung mit Frankreich an, um endlich eine Entscheidung in der deutschen Frage herbeizuführen. Mit der berühmten Emser Depesche brüskierte Bismarck die französische Krone derart, dass im Juli 1870 Frankreich Preußen den Krieg erklären musste – obwohl es das eigentlich gar nicht wollte.

Bayern und sein Bündnis mit Preußen

Bayern, an sein Bündnis mit Preußen gebunden, war nun gezwungen ebenfalls in den Krieg einzutreten – ein Konflikt, an dem es bis dahin vollkommen unbeteiligt gewesen war. Prestige und Ehre geboten dem Königreich Bayern zu seinem Bündnis zu stehen.

Auch konnten König Ludwig II. und sein Kabinett keinen großen Nachteil dabei erkennen: unterlag Frankreich, blieb Bayern in seiner Souveränität vermeintlich unangetastet; verlor hingegen Preußen, wäre dessen Vormachtstellung auf deutschem Boden gebannt und Bayern hätte von Frankreich keine großen Gebietsverluste zu fürchten.

Vermeintlich also eine Win-Win-Situation? Pustekuchen.

Die Gründung des Deutschen Kaiserreichs

Zum einen gab dieser Krieg schon einmal einen Vorgeschmack auf das, was im ersten Weltkrieg folgen sollte. Die Materialschlachten der frühen Industriekriege wurden lange verharmlost, müssen aber von unbeschreiblicher Grausamkeit gewesen sein.

Zum anderen sorgte Bismarck noch während des Krieges dafür, sämtliche deutschen Staaten für einen vereinten Nationalstaat zu gewinnen. Dabei nutzte er geschickt aus, dass unter den Soldaten und weiten Teilen der Bevölkerung im vereinten Kampf gegen die (noch aus früheren Zeiten verhassten) Franzosen eine gemeinschaftliche Stimmung herrschte.

Nach langem Zögern stimmte auch König Ludwig II. den Plänen Bismarcks zu – heute heißt es häufig, er habe sich kaufen lassen. Zwar stimmt es, dass Ludwig Geldsummen in Millionenhöhe erhielt, die der Märchenkönig in seinen kostspieligen Bauprojekten versenkte. Doch hätte er auch ohne diese Zuwendungen kaum eine andere Wahl gehabt als dem Drängen des preußischen Ministerpräsidentens nachzugeben, wollte er Bayern politisch nicht völlig ins Abseits stellen.

Gemälde von der Ausrufung des Deutschen Kaisers in Versaille und dem Sieg der Preußen
Proklamation des Deutschen Kaisers in Versaille am 18. Januar 1871
(Quelle: Von Anton von Werner , Museen Nord / Bismarck Museum, Gemeinfrei)

Am 18. Januar 1871 wurde noch in Versaille Wilhelm I. als Kaiser ausgerufen und damit das neue Deutsche Reich gegründet. Bayern hatte zwar zahlreiche Zugeständnisse und Sonderbedingungen erhalten – seine Unabhängigkeit war von diesem Zeitpunkt an jedoch dauerhaft verloren.

Bayern vs. Preußen. Eine Frage der Mentalität

Puh, was für ein Sprint durch 150 Jahre deutsche Geschichte.

Nun kannst du aber besser verstehen, wieso die Bayern vor allem nach der Niederlage im blutigen Bruderkrieg von 1866 nicht mehr gut auf die Preußen zu sprechen waren. Als 1870 klar war, dass es zu einem Krieg gegen Frankreich kommen würde, zeigte sich vor allem die konservativ eingestellte Bevölkerung erbost.

Heftige Kritik an Preußen in einer bayerischen Zeitung
Artikel aus: „Das Bayerische Vaterland“ vom 17. Juli 1870
(Quelle: Bayerische Staatsbibliothek, digipress)

„Der Krieg ist fertig, jede Stunde kann uns die Kriegserklärung Frankreichs bringen, die nach dieser brüsken Behandlung seines Vertreters von dem Preußenkönig geradezu unvermeidlich ist. Und wir, – was werden wir thun? Kann es ein bayrischer Minister, kann es ein Vertreter des Volkes mit seinem Gewissen vereinbaren, daß Bayern das Blut und Leben Tausender seiner besten Söhne einsetze für den preußischen Raubstaat, hinopfere für die Ländergier und händelsüchtiger Machtbesoffenheit der blutigen Mörder von 1866? Kann ein Bayern in den Kampf gehen, für dieses Preußen sich zu schlagen, das, wenn es, was Gott verhüten wolle, siegt, uns ebenso auffressen wird, wie es 1866 Hannover und Kurhessen aufgefressen hat! – Nein, niemals! Niemals!“

Dieser Zeitungsausschnitt aus dem Blatt „Das Bayerische Vaterland“ zeigt eindeutig: Die Erinnerung an 1866 war noch frisch und die Angst „aufgefressen“ zu werden, groß. Dieser Zeitungsredakteur zeigte damals jedenfalls mehr politische Weitsicht, als der König und seine Berater.

Das militärische Preußen

Doch neben den politischen Aspekten waren sich Preußen und Bayern schon allein von ihrer Mentalität her nicht grün. Preußen war ein Militärstaat, der gesamte Erfolg dieses Landes beruhte auf seinem gewaltigen Militärapparat.

Bereits unter Friedrich Wilhelm I. (König in Preußen 1713-1740) kamen auf 30 Untertanen 1 Soldat, was ihm auch den Spitznamen „Der Soldatenkönig“ einbrachte. Das wirkte sich natürlich auch auf die restliche preußische Gesellschaft aus, die militärische Werte hochhielt und sich sehr stark mit ihrem Soldatentum identifizierte.

Wir alle kennen die berühmten preußischen Tugenden, wie etwa Pünktlichkeit, Disziplin, Fleiß, Pflichtbewusstsein oder Zurückhaltung (um nur ein paar zu nennen). Sie gehen auf die protestantisch-calvinistische und militarisierte preußische Gesellschaft zurück und werden den Deutschen bis heute allgemein nachgesagt.

Das bäuerliche Bayern

Die Bayern hingegen legten mehr Wert auf Gemütlichkeit, tranken und rauften gern im Wirtshaus und waren stark von der bäuerlich-ländlichen Bevölkerung geprägt. Mit der preußischen Tugendhaftigkeit konnten sie nicht viel anfangen – ganz zu schweigen vom Protestantismus. Vor allem im katholischen Süden Bayerns kam das beinahe einer Todsünde gleich.

Die Preußen waren arrogante, steife, macht- und geldgierige Soldatenlemminge, so sah die landläufige Meinung unter der bayerischen Bevölkerung aus. Die Preußen hingegen hielten die Bayern für dumme, bäuerliche, undisziplinierte, unkultivierte und aufmüpfige Querköpfe.

Alte Postkarte mit zwei Männern in bayerischer Tracht und Bierkrügen. Darunter steht "Was is - trink man no oane"
Bayerische Wirtshauskultur – „Was is, – trink ma no oane“
(Quelle: Postkarte des Verlags Emil Ganghofer in Rottach Egern , um 1900, Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg)

Oder doch nur gekränkte Eitelkeit?

Gründe gab es also viele, die zu der gegenseitigen Abneigung von Bayern und Preußen führte. Aber wer weiß? Vielleicht kränkte die Bayern ja am meisten, dass es ihnen nie gelungen war, von Preußen (oder auch Österreich) wirklich ernst genommen zu werden.

Beim Blick in die heutige Politik überkommt mich häufig das Gefühl, dass dieses Traum noch immer nicht überwunden wurde. Zumindest würde es das Verhalten so mancher CSU-Politiker erklären,  die sich gerne mit staatsmännischer Grandiosität über das politische Parkett bewegen, fast immer einen bayerischen Sonderweg gehen und dabei mit schlafwandlerischer Sicherheit immer wieder über ihren Größenwahn stolpern und kaum ein Fettnäpfchen auslassen.

München und Berlin, ob die sich jemals wirklich verstehen werden?

Vielleicht nicht. Aber der Bayer braucht ja bekanntlich immer einen Grund zum Granteln – und worüber lässt sich’s besser schimpfen, als über die Preißn? Es macht halt einfach zu viel Spaß…

Beitragsbild: © Katrin Schultze-Naumburg

Auszug aus meinen Quellen

Hans Kratzer, „Mir mögen net preißisch werden!“ Preußisch-Österreichischer Krieg 1866, SZ-online vom 8.07.2016

Michael Kubitza, 1866. Das vergessene Schicksalsjahr, BR24 online vom 2.10.2016

Teja Fiedler, Mia san mian. Die andere Geschichte Bayerns, München 2014.

Haus der Bayerischen Geschichte, Projekt Königreich Bayern 1806-1918, Internetportal

Historisches Lexikon Bayern

Wikipedia, mein bester Freund und Helfer

2 Kommentare

Das könnte dich auch interessieren

2 Kommentare

Glaubst du noch an Märchen? Warum jede Gesellschaft ihre Mythen braucht - Stadtflaneurin 4. Februar 2021 - 9:33

[…] prägt der Mythos vom spröden und völlig spaßbefreiten Preußen kulturell das bayerische Selbstverständ…. Über dieses Narrativ betonten die Bayern historisch ihre Unabhängigkeit und ihre eigene, […]

Antworten
A.Lang 29. Januar 2024 - 17:25

Alles andere als ein „Scweinsgalopp“ durch die Geschichte.Schön aufgelistet,was historisch relevant war.Sei wären eine gute GeschichtslehrerIn in Bayern,Österreich und Preussen.
Schlage Sie zur Beförderung vor.

Antworten

Schreib einen Kommentar