Hast du bisher immer gedacht, flanieren ist dasselbe wie spazieren – nur auf französisch? Weit gefehlt, meine Liebe! Flanieren ist viel mehr als das. Man könnte es schon fast als Philosophie bezeichnen, mindestens aber als Lebenseinstellung.
Wer flaniert, geht nicht einfach nur mal eine Runde um den Block, um sich die Beine zu vertreten. Nein, eine Flaneurin lässt sich ein auf das Erlebnis des Gehens und Schauens. Sie zelebriert den Gang vor die Haustüre und betrachtet es als Erfahrung mit allen Sinnen.
Warum du unbedingt mit dem Flanieren anfangen solltest? Weil deine Stadt und dein Leben dadurch so viel schöner werden.
Flanieren statt Spazieren – aber wo ist der Unterschied?
Du fragst dich jetzt vielleicht, was am Flanieren so besonders sein soll. Schließlich sind wir alle in diesem Jahr so viel durch die Gegend spaziert wie noch nie in unserem Leben (Corona sei dank). Am Ende ist es ja doch bloß einen Fuß vor den anderen setzen – oder?
Nicht ganz. Denn wie eingangs schon erwähnt, sind Spazierengehen und Flanieren nicht dasselbe. Auch wenn die beiden Begriffe sehr häufig synonym verwendet werden, gibt es einige gravierende Unterschiede.
Beim Spazierengehen steht meistens die Tätigkeit des Gehens oder, wenn wir nicht alleine unterwegs sind, des sich Unterhaltens im Vordergrund. Oft hat man auch schon vorher eine Route im Kopf, die man gehen will. Ein bekannter Weg, der sich gut für eine kleine oder große Runde eignet, gerne in der Natur oder auf ruhigen Straßen. Und beim Losgehen freut man sich schon auf den Kaffee nach der Rückkehr.
Ganz anders beim Flanieren: Da geht es nämlich nicht ums Gehen oder Reden – sondern vor allem um das Erleben und Wahrnehmen. Als Flaneurin beobachtest du deine Umgebung sehr genau und versuchst sie in ihrem Detailreichtum zu erfassen. Dabei gehst du nach keinem festen Plan vor, sondern lässt dich einfach treiben und vom Moment inspirieren. Darum weißt du auch nicht, wann oder wo du deinen Kaffee trinken wirst.
Das geht in der Stadt besser als in der Natur, denn die Flaneurin sucht das Leben auf der Straße. Sie will die Stadt gleichzeitig erleben und begreifen. Also ist sie am liebsten beobachtend mitten drinnen.
Im Urlaub sind wir alle Flaneure
Du kennst das vielleicht aus dem Urlaub. Wenn du in einer anderen Stadt bist, gehst du schlendernd und mit offenen Augen durch die Straßen. Du beobachtest die Menschen, studierst Häuserfassaden, betrachtest Geschäfte und Straßenzüge. Dabei versuchst du die fremde Stadt in ihrer Ganzheit zu begreifen, indem du alles in dich aufnimmst, was sie zu bieten hat. Die Gerüche, die Geräusche, Farben, Formen, das bunte Treiben.
Woran erinnerst du dich dann, wenn du wieder zuhause bist? Wahrscheinlich an das entspannte Gefühl der Vorabendstimmung, als du mit deinem Aperitivo auf einer Piazza in Verona gesessen und Leute beobachtet hast. Oder das Summen der Stimmen auf dem Bazar in der Jerusalemer Altstadt, wo eifrige Händler vor ihren Ständen Passanten nette Floskeln zurufen. An das beständige Hintergrundrauschen der Stadtgeräusche in New York. Und an das grelle Neonlicht, das sich mit dem Duft von Curry und gedünstetem Knoblauch in den Food Courts von Singapur vermischt.
Du erinnerst dich an das, was wir gemeinhin gerne als „Atmosphäre“ bezeichnen. Die meisten sehen einen Urlaub dann als gelungen an, wenn sie nicht eine Sehenswürdigkeit nach der anderen abgehakt, sondern den Ort „erlebt“ haben. Wenn wir verreisen, sind wir alle auf der Suche nach der „Real Experience“. Wir wollen die fremde Kultur begreifen und in uns aufnehmen.
Weil das Gras woanders immer grüner ist
Doch dieses Verlangen verschwindet interessanterweise an den Orten, die uns vertraut sind. Unsere eigene Stadt meinen wir schon so gut zu kennen, dass wir uns nicht mehr die Mühe machen, sie wirklich zu erleben. Wir hetzen leicht belustigt an staunenden Touristen vorbei und fahren lieber für einen Tagestrip nach Salzburg, um „mal was anderes“ zu sehen. Und dabei schauen wir unsere eigene Stadt eigentlich gar nicht richtig an. Und übersehen ihre Schönheit.
Dass wir uns nicht mit der gleichen Begeisterung in unserer (Wahl)Heimatstadt umsehen, liegt zumindest im Fall von München weniger am Ort als an uns selbst. Schließlich leben wir hier unbestreitbar in einer interessanten und schönen Stadt. Ich schätze mal, das hat viel mit dem Das-Gras-ist-immer-grüner-Prinzip zu tun.
Aber steckt wirklich nur das aufregende Gefühl des Neuen dahinter? Vielleicht liegt es auch daran, dass wir es zuhause einfach nicht schaffen, die nötige Distanz zum stressigen Alltag zu finden.
Von Kopf bis Fuß auf Flanieren eingestellt
Es ist doch immer dasselbe Dilemma. Wir sehnen uns zurück in den gelassenen Zustand, den wir aus dem Urlaub kennen, nehmen uns aber gleichzeitig im Alltag keine Zeit dafür. Darum schaffen wie es auch nie, die Welt vor unserer Haustüre mit der gleichen Offenheit zu entdecken wie auf Reisen. Auch wenn wir es uns immer wieder wünschen.
Irgendwann hatte ich genug von diesem sehnsuchtsvollen Herbeiwünschen der Urlaubs-Katrin. Und ich habe aufgehört darauf zu hoffen, dass eines Tages ganz plötzlich und von selbst das intrinsische Interesse für meine Stadt an meine Tür klopft.
Stattdessen habe ich mich gefragt, wieso ich das eigentlich möchte. Dabei ist mir klar geworden, dass es mir ganz generell Spaß macht, Dinge in ihrem Wesen zu erfassen. Was mich auf Reisen an fremden Kulturen oder neuen Orten fasziniert, ist nicht nur das Neue und Andersartige. Es ist die Erfahrung, sich voll und ganz mit allen Sinnen darauf einzulassen. Voller Neugierde auf Entdeckertour zu gehen, sich Gedanken über das Gesehene zu machen und im Hier und Jetzt zu sein.
Da hat es plötzlich in mir gefunkt: Es geht gar nicht so sehr um den Ort selbst. Um diese Erfahrung zu machen, muss ich nicht zwingend die Stadt verlassen. Alles eine Frage der Einstellung – nicht des Ortswechsels.
Denn im Prinzip suchen wir nach dem, was wir in unserer durchgetakteten, schnelllebigen und digitalen Welt oft vermissen: Präsenz. Im Moment, im eigenen Leben, in der eigenen Stadt anwesend zu sein.
Erlebe deine Stadt mal anders – als Flaneurin!
Falls du schon einmal versucht hast zu meditieren, kennst du vielleicht den Zustand des gleichzeitigen Seins und Beobachtens. Es ist ein verrücktes Gefühl, wenn man sich selbst dabei zusieht, wie man einfach nur vor sich hin atmet. Und wenn ein Gedanke kommt, versucht man sich selbst beim Denken zu beobachten. Gleichzeitig in sich selbst zu sein und von außen drauf zu schauen – das ist ein ziemlich abgefahrenes Konzept. So als wärst du als Touristin in dir selbst zu Besuch.
Flanieren ist für mich ganz ähnlich. Während ich durch die Straßen gehe und mit allen Sinnen aufnehme, was um mich herum geschieht, nehme ich mich gleichzeitig als Teil des Geschehens und als Beobachterin wahr. Ich lasse meine Gedanken fließen und bin neugierig, wo sie hängen bleiben. Warum schaut der Mann dort drüben so finster drein? Wer wohl die Blumen da auf das Fensterbrett gestellt hat? Und was hat Ludwig II. empfunden, wenn er sein eigenes Denkmal betrachtete?
Es macht mir Spaß, die Geschichten zu entdecken (oder auszudenken), die hinter dem Offensichtlichen liegen. Mich einfach treiben zu lassen, sowohl in Gedanken als auch durch die Straßen. Zu beobachten, wie sich die Gegend verändert, was für Leute unterwegs sind, wie sie wirken und was für eine Stimmung in der Luft liegt. Und mich dabei selbst als Teil des Ganzen zu erleben und im selben Moment das Ganze von außen zu beobachten.
Wenn ich so unterwegs bin, finde ich nicht nur meine Umgebung wahnsinnig spannend und schön, was für sich schon eine tolle Erfahrung ist. Besser noch: Ich bin endlich einmal präsent.
Gib der Flaneurin in dir eine Chance
Vielleicht klingt das für dich jetzt ziemlich abgehoben. Auch gut möglich, dass du denkst, du kannst das nicht. Oder du hast keine Zeit dafür. Ich will dir trotzdem ans Herz legen, es einfach mal zu versuchen.
Denk an das Beispiel mit dem Urlaub. Versuch dich an das Gefühl zu erinnern, das du beim Entdecken einer fremden Stadt empfindest. Und überlege dann mal ganz genau, was daran dir so gut gefällt. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist es nicht der Ort selbst, sondern wer du an diesem Ort bist.
Du bist offen, neugierig, ganz im Hier und Jetzt und nimmst deine Umgebung mit allen Sinnen wahr. Du beobachtest, lässt dich entspannt treiben und machst dir Gedanken zu allem, was du siehst. Und du lässt dir Zeit dabei. Mit anderen Worten: Du bist Flaneurin.
Du siehst also: Sie steckt bereits in dir. Meinst du nicht, dass es an der Zeit ist, ihr ab und an auch zuhause eine Chance zu geben? Mit ein bisschen Übung wird es immer häufiger klappen – und nicht nur deine Stadt wird dadurch schöner, sondern auch dein Leben.
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1 Kommentar
[…] kann – um neue Erfahrungen zu machen, musst du nicht unbedingt die Stadt verlassen. Ich habe in einem anderen Artikel bereits darüber geschrieben, wie das Flanieren mir dabei hilft, präsenter zu sein und mit einem Mindset wie im Urlaub meiner eigenen Stadt zu […]