Ich liebe München in der Vorweihnachtszeit! Der Advent ist vielleicht sogar meine liebste Zeit im Jahr. Jedenfalls ist sie die besonderste, finde ich. In den wenigen Wochen vor Weihnachten liegt ein ganz eigener Zauber über der Stadt.
Wenn überall die Lichter glitzern und es nach Zimt und Plätzchen riecht. Wenn man sich nach der Arbeit mit Freunden auf einem der vielen Christkindlmärkte trifft, sich an den Buden durch sämtliche Leckereien probiert und die klammen Finger an der Tasse mit dampfenden Glühwein wärmt. Und wenn man es schafft, sich nicht vom „Vorweihnachtsstress“ überwältigen zu lassen, sondern stattdessen Ruhe in die letzten Wochen des Jahres zu bringen.
Übersicht
Alte Adventsbräuche aufleben lassen
Dieses Jahr ist freilich alles anders. Zwar glitzert hier und da mal ein einzelner Christbaum und in einem Straßenverkauf wird Glühwein ausgeschenkt. Aber die Straßen und Plätze wirken ohne die geschmückten Buden und vorweihnachtlich gestimmten Menschen leer und wenig festlich.
Das heißt aber nicht, dass du dieses Jahr auf die Weihnachtsstimmung verzichten musst. Mach es doch einfach wie die Leute früher. Die hatten nämlich auch kein After-Work-Glühwein-Get-together, auf dem sie sich auf die „Stade Zeit“ eingestimmt haben.
Gerade dieses entschleunigte Corona-Jahr ist doch ein guter Anlass, um in der Adventszeit das zu machen, wofür sie eigentlich gedacht war: sich mit Ruhe und Besinnlichkeit auf das kommende Fest einstimmen. Mal einen Gang runter zu schalten fällt uns heutzutage ja besonders schwer. Aber wenn wir ehrlich sind – brauchen wir eigentlich nicht genau das?
Da dieses Jahr das Abklappern von überfüllten Geschäften und das Hüpfen von Event zu Event eh nicht drinnen ist, versuch es doch mal mit der traditionellen Art dich auf Weihnachten einzustimmen.
Dafür habe ich dir 5 klassische Adventsbräuche zusammengestellt – und natürlich auch etwas über ihren kulturgeschichtlichen Hintergrund herausgefunden.
#1 Der Vorläufer von Weihnachten: Nikolaus feiern
Erinnerst du dich noch daran, wie du als Kind mit klopfendem Herzen auf den Nikolaus gewartet hast? Ich konnte am Abend vorher kaum einschlafen – zum einen, weil ein kleines bisschen Sorge dabei war, dass in der Früh kein Nikolaussäckchen vor der Zimmertür stehen könnte. Zum anderen, weil ich absichtlich wach bleiben und den Nikolaus abpassen wollte.
Wenn der Nikolaus dann aber am 6. Dezember persönlich vorbei geschaut und etwas über mich aus seinem großen goldenen Buch vorgelesen hat, habe ich mich sicherheitshalber hinter meiner älteren Schwester versteckt. Da wollte ich ihn dann doch nicht mehr unbedingt treffen…
Schon seit dem Mittelalter sind verschiedene Nikolausbräuche belegt. Um den als Heiligen verehrten Bischof ranken sich eine Vielzahl von Legenden und wahrscheinlich sind viele der noch heute bekannten Bräuche daraus entstanden.
Sehr bekannt ist zum Beispiel die Geschichte von den drei Jungfrauen: Ein verarmter Edelmann hatte drei Töchter. In seiner Not sah er sich gezwungen, sie an einen Kuppler zu verkaufen. Nikolaus erfuhr davon und warf in drei aufeinanderfolgenden Nächten heimlich jeweils eine goldene Kugel durchs Fenster in die Stube des Mannes. Als der Mann in der dritten Nacht Nikolaus entdeckte, musste er dem Heiligen versprechen nichts von seiner Wohltätigkeit zu verraten. Möglicherweise verweist die Tradition des heimlichen Schenkens auf diese Geschichte.
Weihnachten im Wandel: Vom Nikolaus zum Christkind
Lange Zeit war der Nikolaustag der Tag, an dem es Geschenke für die Kinder gab. Vor allem zu Hofe wurden zahlreiche Geschenke verteilt. Der spätere bayerische Kurfürst Max Emanuel hat mit 9 Jahren sogar eine eigene kleine Kutsche zu Nikolaus bekommen! Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts verlegte man das Schenken vom 6. auf den 24. Dezember – zunächst vor allem im protestantischen Norden Deutschlands.
Das hatte mit Luthers Abneigung gegen Heilige ganz allgemein und St. Nikolaus im Besonderen zu tun. Seiner Meinung nach war der katholische Heiligenkult schädlich, weshalb auch der Heilige Nikolaus dran glauben musste. Stattdessen sollte Christus persönlich zum Gabenbringer werden, passenderweise zu seinem Geburtstag an Weihnachten – das Christkind war geboren. Irgendwie ironisch, dass ausgerechnet im eher katholisch geprägten Süden bis heute das Christkind an Weihnachten die Geschenke bringt, während im protestantischen Norden der Weihnachtsmann vorbeischaut.
Pädagogisch fragwürdig: Der Krampus
In Bayern hielt sich der Nikolaustag trotzdem hartnäckig, auch als sich der 24. Dezember als Gabentag durchsetzte. Der 6. Dezmeber wurde gerne dazu benutzt, um die Katechismus-Kenntnisse der Kinder abzufragen und sie auf pädagogisch mehr oder weniger wertvolle Art zu maßregeln. So begleiteten den Nikolaus im bäuerlichen Brauchtum alle möglichen düsteren Gestalten, wie zum Beispiel der Krampus, auch Klaubauf genannt. Der Krampus verkörperte eine Schreckgestalt, die unartige Kinder in einen Sack steckte und anschließend wahlweise in einen Brunnen, Bach oder Weiher warf oder in den Wald verschleppte – und in ganz drastischen Geschichten sie dort sogar auffraß.
Am 5. Dezember fand an vielen Orten in Bayern das sogenannte Krampuslaufen statt. Auf diesen Umzügen verkleideten sich junge Männer in schaurigen Maskeraden und liefen mit lautem Glockengeläut durch die Straßen, um die Leute zu erschrecken.
Dabei ging es teilweise ganz schön wild zu, auch weil die Krampusläufer sich unter ihrer Verkleidung außerhalb von gesellschaftlichen Zwängen einmal ungehörig aufführen durften. Bis heute wird dieser Brauch vielerorts gepflegt. Dieses Jahr mussten die Läufe aber alle ausfallen.
Auch wenn du dir heute nur noch ungern von weißbärtigen Männern und ihren zweifelhaften Kumpels die Leviten lesen lässt, könntest du ja die positiven Teile des Brauches wieder aufleben lassen. Gibt es jemanden, dem du ein kleines Geschenk heimlich und unerkannt über Nacht vor die Tür stellen könntest? Oder du schickst einer guten Freundin eine persönliche Nikolausbotschaft mit ein paar netten Worten, was bei ihr dieses Jahr gut gelaufen ist. Denn über anerkennendes Lob und kleine Geschenke freuen wir Erwachsenen uns ja genauso wie Kinder – warum muss dafür extra ein Heiliger vorbeikommen?
#2 Adventskranz mal anders: Das Paradeiserl
Oft heißt es, der Adventskranz sei eine recht junge Erfindung, die erst nach dem zweiten Weltkrieg richtig populär geworden sei. Außerdem käme er aus Norddeutschland und sei daher kein wirklich bayerischer Brauch. Das stimmt zwar für die Form, in der wir den Adventskranz heute kennen. Aber auch in Bayern hat es bereits seit Jahrhunderten den Brauch gegeben, Zeitmesser aufzustellen, an denen man die Tage bis Weihnachten abzählen konnte.
In Bayern waren vor allem sogenannte Paradeiserl beliebt. Dieser Adventsschmuck bestand aus vier Äpfeln, die mit sechs Holzstäben zu einer Pyramide zusammengesteckt wurden. Also drei Äpfel im Dreieck und ein Apfel als Spitze. In jeden dieser Äpfel wurde eine Kerze gesteckt und die Holzstäbe mit Tannen- oder Buchsbaumzweigen geschmückt. Oft stand das Paradeiserl auf einem Teller mit Gebäck und Nüssen.
Ein Stück Paradies zu Weihnachten, das sich jeder leisten konnte
Wie heute bei unserem Adventskranz auch, wurde jeden Sonntag eine neue Kerze angezündet. Dabei war die Spitze der Pyramide natürlich für den Weihnachtsabend vorgesehen. Diese Art des Adventschmucks konnten sich auch ärmere Familien leisten, allerdings stellten die das Paradeiserl oft erst an Heiligabend auf. Kerzen waren sehr teuer und nicht jeder konnte es sich leisten, an allen Adventsonntagen eine zu entzünden.
Der Name Paradeiserl leitet sich übrigens vom Paradies her. Denn wusstest du, dass der 24. Dezember auch der Adam-und-Eva-Tag ist? Die Äpfel und grünen Zweige symbolisieren den Baum der Erkenntnis. Auf diese Weise hoffte man sich „ein Stückerl vom Paradies“ in die Stube zu holen. Dabei war es egal wie arm man war, denn Zweige und Äpfel gab es meistens aus dem eigenen Garten.
Seit einigen Jahren kommt dieser traditionelle Weihnachtsschmuck wieder in Mode. Einige Handwerkstätten bieten ihre geschnitzten Paradeiserl an, bei denen auch die Äpfel aus Holz bestehen. Egal ob selbstgebastelt oder gekauft, heute ist das Paradeiserl jedenfalls ein Adventskranz der anderen Art.
#3 Traditionelle Weihnachtsbäckerei: Das Kletzenbrot
Na, schon Plätzchen gebacken? Unsere feinen Gebäcksorten wie Vanillekipferl oder Linzer Sterne wurden früher in einfachen Bauernstuben natürlich nicht gebacken. Die typischen Zutaten wie Nüsse, Obst und Zucker waren sehr teuer, weshalb Weihnachtsgebäck auch nicht die ganze Adventszeit durch gegessen wurde.
Eines der traditionellen Weihnachtsgebäcke ist das Kletzenbrot. In Bayern und Österreich wurden getrocknete Birnen als Kletzen bezeichnet. Für Dörrbirnen nutzte man vor allem Sorten, die roh nicht gut schmeckten, aber durch den Dörrprozess an Süße gewannen. Diese feine Zutat konnte sich nicht jeder leisten und machte das Kletzenbrot so zu etwas ganz Besonderem.
Als der allgemeine Wohlstand zunahm, wurden zusätzlich noch getrocknete Pflaumen und Rosinen mit ins Brot gegeben. Und mit dem Import exotischer Früchte fanden auch getrocknete Datteln oder Feigen ihren Weg in das Kletzenbrot. In heutigen Rezepten werden außerdem noch gemahlene Nüsse und Mandeln eingebacken.
Das Brot ist ziemlich gehaltvoll und wurde traditionellerweise am Weihnachtstag gegessen. Nach der Christmette wurde das Brot angeschnitten und mit Butter bestrichen, dazu gabs noch ein Glaserl Schnaps . Der Hausvater musste außerdem dem Brauch nach dem Gesinde mindestens drei Kletzenbrote schenken.
Übrigens gab es angeblich auch genaue Vorgaben, wann das Brot gebacken werden sollte. Allerdings sind meine Quellen sich nicht darüber einig, an welchem Tag das war: ob am Andreastag (30. November), an Mariä Empfängnis (8. Dezember) oder am Thomastag (21. Dezember). Wahrscheinlich ist, dass es vor allem regional Unterschiede gab.
Falls du Lust hast, das traditionelle Weihnachtsgebäck einmal auszuprobieren, habe ich dir hier noch ein passendes Rezept herausgesucht.
#4 Orakeln in den Losnächten
Die Adventszeit ist eine magische Zeit. Vor allem in der alten bäuerlichen Brauchkultur hat man das ganz wörtlich genommen. Während wir heute eigentlich nur noch auf Weihnachten warten, hatten die letzten Wochen des Jahres früher eine wesentlich größere Bedeutung. Sie wurden als eine Zeit der Erneuerung angesehen, in der es galt das Schicksal für das kommende Jahr positiv zu beeinflussen.
Das bäuerliche Wirtschaftsjahr ging am 11. November zu Ende, weshalb zu diesem Zeitpunkt häufig neue Mägde und Knechte eingestellt wurden. Für das Gesinde war dies eine Zeit voller Ungewissheit. Denn auch wenn man die materielle Versorgung mit einem Jahresvertrag gesichert hatte, so war vieles andere unsicher.
Einmal war da natürlich die Frage, ob es ihnen in der neuen Stellung gut gehen würde. Außerdem bangten vor allem die jungen Mägde, ob sie sich verlieben und heiraten würden. Um das eigene Schicksal möglichst günstig zu beeinflussen, gab es allerlei Rituale, die an den sogenannten Lostagen vollzogen wurden.
Schuhe werfen, Barbarazweige und Bettstatthüpfen
Als Lostage galten Andreastag (30.11.), Barbaratag (4.12.), Jodokustag (12.12), Thomastag (21.12.), Christnacht (24.12.), Weihnachtstag (25.12.) und Silvester (31.12.). Für jeden dieser Tage gab es abergläubische Bräuche, die die Zukunft voraussagen oder beeinflussen sollten.
So warfen die Mädchen zum Beispiel mit Pantoffeln oder Apfelschalen um sich, um zu erfahren, ob ein zukünftiger Bräutigam ins Haus käme – und wenn ja, aus welcher Richtung. Am Andreastag sagten sie vor ihrem Bett den Vers auf: „Heiliger Andreas, ich bitt dich, Bettstatt, ich tritt dich, lass mir erscheinen den Herzallerliebsten meinen!“ Für Unentschlossene gab es auch die Methode, die Namen der potentiellen Bewerber auf Zettelchen zu schreiben, sie auf die Bettstatt zu legen und solange darauf herum zu hüpfen, bis nur noch ein Papier übrig geblieben war.
Ein mit dem Heiratswunsch verbundenes Fruchtbarkeitssymbol taucht dabei in Form von Obst und Blüten immer wieder auf. Zum Barbaratag stellte man sich zum Beispiel Zwetschgen-, Kirsch- oder Forsythienzweige in einer Vase im Zimmer auf. Erblühten diese bis zum Weihnachtsabend, wurde das als gutes Zeichen für heiratsfreudige Mädchen gedeutet. Am Thomastag gingen die Mädchen punkt Mitternacht nur mit einem Hemd bekleidet nach draußen und schüttelten einen Zwetschgenbaum, während sie eine Beschwörungsformel aufsagten.
Wahrscheinlich machst du dir nicht allzu viele Hoffnungen, deinen Traumpartner aus einem Obstbaum schütteln zu können. Aber das mit den Barbarazweigen ist ein schöner Brauch, finde ich. Blühende Kirschblüten zu Weihnachten – das wär doch mal was anderes.
Übrigens: Ein Ritual aus den Losnächten hast du bestimmt auch schon mitgemacht. Unser Bleigießen an Silvester geht nämlich auch auf den alten Aberglauben zurück.
#5 Der Klassiker aus der Kindheit: Adventskalender
Ok, der Klassiker schlechthin, sollte ich wohl eher sagen. Ich musste letztens ziemlich schmunzeln, als bei einem Videocall mit ein paar Freundinnen plötzlich alle aufgeregt ihre Adventskalender in die Kamera gehalten haben. Nicht nur Kinder können Weihnachten kaum erwarten und wollen die Zeit Türchen um Türchen mitverfolgen.
Zwar ist der Adventskalender nicht ganz so alt wie viele andere Bräuche, aber immerhin gibt es ihn schon seit 1908. Erfunden wurde er sogar in München! Der Verleger Gerhard Lang brachte das Aquarell „Im Lande des Christkinds“ von Richard Ernst Kepler als Druck heraus, worauf in 24 Bildchen Engel bei den Weihnachtsvorbereitungen zu sehen sind. Die Kinder sollten die Bilder ausschneiden und auf einen zweiten Bogen mit passenden Gedichten kleben. Zwar erinnert der erste Adventskalender eher an ein liturgisches Brettspiel, weil die Bilder noch nicht durch Türchen verdeckt werden. Aber die liebevoll gestalteten Tagesfelder lassen schon erahnen, wo die Reise hingehen würde.
Ab 1920 verkaufte Lang dann schließlich die ersten Bildchenkalender, bei denen die Fenster zum Öffnen durch einen Schiebemechanismus betätigt wurden. Nach und nach wurden die Kalender von Lang immer aufwändiger, weshalb er 1940 seine Produktion einstellen musste. Zum einen wurden seine Kalender im Verhältnis zu anderen Billigprodukten zu teuer. Zum anderen verboten die Nationalsozialisten schließlich die Produktion von Adventskalendern ganz.
Natürlich hatten die Kalender ursprünglich einen pädagogischen Zweck: Den Kindern sollte das sehnsuchtsvolle Erwarten des Heilands als die spirituelle Grundlage der katholischen Liturgie vermittelt werden. Zwar ist heute von der religiösen Komponente nicht mehr viel übrig geblieben. Aber etwas von dem Zauber der Wartens haftet den Adventskalendern noch immer an. Schließlich könnten wir erwachsene Kinder uns auch einfach eine Tüte mit Schokolädchen kaufen – aber nein, die müssen sich schon hinter Türen verstecken.
Mit diesen schönen vorweihnachtlichen Bräuchen steht der passenden Weihnachtsstimmung auch dieses Jahr nichts mehr im Wege. Und wie immer bin ich neugierig: Welche Adventsbräuche lässt du dieses Jahr aufleben, um in festliche Stimmung für Weihnachten zu kommen? Schreib mir dazu gerne unten in die Kommentare!
Meine Quellen
Paul Werner/Richilde Werner, Weihnachtsbräuche in Bayern. Kulturgeschichte des Brauchtums von Advent bis Heilig Dreikönig, Berchtesgarden 1999
Ingeborg Weber-Kellermann, Das Weihnachtsfest, Luzern/Frankfurt a. M. 1978.
Katja Sebald, Kletzenbrot statt Kipferl, SZ-Online vom 8.12.2017.
Artikel „Paradeisl„, online auf Brauchwiki.de
Sophia Wagner, Paradeiserl. Eine bayerische Weihnachtstradition, online auf paradeiserl.de.
Kletzenbrot – Bayerisches Früchtebrot, online auf Bayerische-Spezialitäten.net.